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Dicke Schaumstoffklötze an den Wänden, der Decke und Türe nehmen Worten weg, was sonst ganze Räume füllt. Hier aber hallt nichts nach und auch kein Echo schwingt mit. Nur die Botschaft drückt sich aus, der Kern einer Sache, unverpackt nackt tritt er auf und zu Tage und wirft Fragen auf, die sonst keiner stellt. Im Nebel von Worten und Sätzen, Phrasen und Hülsen bereichern sie nur scheinbar Gespräche. Heute bereichern sie nicht, sie tun es nicht hier, denn hier wird ihnen der Ton geraubt. Kein Nachklang an diesem Ort. Wer hier ins Horn bläst, bläst Horn und hört Horn, sonst nichts. Und wer ins Mikrofon spricht oder singt, der hört Sprache, Gesang, oder Sprechen und Singen, sonst nichts. Dann kommt plötzlich ein Rhythmus dazu, schwer und tief, aber doch leicht genug, um zu treiben. Der zieht sie fort, aber nicht weg, weil der Raum ja noch da ist und sie auch; Beide sind also da: ein Mann und eine Frau in einem Musikstudio. Sie hören sich, sehen sich, riechen sich und schweigen auch nicht. Stattdessen singen sie sich zu und im Rhythmus. Sie sprechen in Reimen, getragen von dem, der sich im Kreislauf befindet, einen Loop nennt man ihn, erklärt der Herr hinter all den bunten Knöpfen und Hebeln, die so ein richtiges Studio wohl haben muss. Ein Rhythmus im Loop also, sagt der Tonmeister, und wiederholt sein Fachvokabular. Knöpfe und Tasten leuchten druckbereit bunt, auch Instrumente stehen griffbereit da; unzählige Flöten, große und kleine, dazu verstärkte und klassische Gitarren. Trommeln, Rasseln und Schlaginstrumente ergänzen das Sortiment. Ein Frosch mit buckligem Rücken, der einen Holzstift im Maul trägt und ihn liebt, diesen Stift, nicht frisst, hüpft ins musikalische Getümmel. Gestreichelt will er damit werden, nicht gefüttert. Frrritt, gerollt das R, so macht der Stift an dem gezackten Rücken, frrritt und nochmal. Dann nimmt der Rhythmus überhand und die Beiden zur Seite. Er spricht in einen Telefonhörer und speist seine Stimme damit ein in das rhythmische Klangwerk. Sie singt ins Mikrofon und gibt ihm Antwort, nur miteinander sprechen, das tun sie nicht. Vom Wein ganz vereinnahmt, sagt er. Sie singt: schön stehst du vor mir. Er sagt: dein Freund in der Heimat, sie singt: und doch bin ich hier. Schöner Auftakt. Noch nie habe er gemeinsam mit jemandem gereimt, sagt er. Same, singt sie englisch und beginnt dann den zweiten Satz: Dich halte ich für schüchtern! Provoziert von dem Angriff legt er nach: und ich dich für leicht. Dann sie: du traust dich nichts nüchtern! Nein, denkt er und zwingt den sich anbahnenden dritten Schritt am rechten Innenbein herunter. So schnell entlarvt und erregt! Wenn sie das sich hier aufbauende Spiel nicht bemerken soll, muss er servieren und den Ton angeben. Aufschlag aus der Hose, wer hat die Pfeife im Mund, denkt er? Er singt: die Unterhaltung wird seicht. Kein Feuer mehr in ihren Augen, gelöscht das Knistern von eben. Lange sagt niemand etwas, nur der Rhythmus klopft unerhört weiter. Ihr Kopf mit den dunklen Lippen, wohin richtet er sich? Auf den zum Glück gepolsterten Boden. Sie fällt leicht und liegt jetzt. Ein Kelim rollt ihre Schönheit aus, in solchen Mustern lässt sich gut verlieren, denkt er. Aber schon geht es weiter, sie richtet sich auf, dreht sich bedächtig, öffnet die Beine und streckt ihre Arme empor.  Dann führt sie das Mikrofon dicht an die noch immer dunklen Lippen und singt: hier verbinden uns Kabel. Darauf er: und im Leben noch mehr. Sie: bitte küss meinen Nabel. Auch das trifft ihn abermals unerhört tief und löst ihm die Spannung im Leistenbereich. Verloren die Konzentration, die ihn unentdeckt stehen ließ. Jetzt aber muss er sich setzen. Wo ist die Luft, wenn man sie braucht, denkt er, was soll ich atmen? Dazu sein Herz, wild schlagend und scheinbar neu angeordnet in dem ihm längst nicht mehr gehorchenden Körper. Es sitzt am Polster, pocht schwer und drückt Blut in die einzig noch denkbare Richtung. Ach Herz, du pumpendes Hindernis! Einen Satz bringt er noch hervor, bevor das Hirn dem Körper das Spielfeld überlässt, eine letzte sich aufbäumende Rückhand, ein Schlag aus Verzweiflung, nicht gegen sie oder sich, sondern für die Flucht aus diesem luftleeren Raum. Raus jetzt, aus dem stillen Studio, denkt er, und reimt wohlwissend auf den von ihm selbst vorausgeschickten Satz eines sie in so vielen Dingen verbindenden Lebens: ich muss gehen, es ist schwer.

Kaufhäuser sind die trostlosen Überreste einer großen Vergangenheit. Heute stehen sie nur noch halb gefüllt, lieblos dekoriert und auch von Außen jedem Glanz beraubt in den Innenstädten. Einst wurde in ihnen stundenlang geschlendert und geguckt, da wurden lange Nasen gemacht und an Schaufensterscheiben platt gedrückt, wie andernorts Kröten auf Asphalt. Und wenn ein großes Fest anstand und die Kinder anständig waren, dann haben Väter durchaus ihre Geldbörse gezückt und Gattinnen wie auch Nachkommen entzückt. In den edelsten dieser Häuser konnte man so ziemlich alles erwerben, von Kaviar bis Königspudelwelpen. Die einzigen Hürden, die dafür zu nehmen waren: Stiegen, oder zu Deutsch: Treppen. Obwohl bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts in rollender Form vorhanden, gilt in Kaufhäusern seit jeher: nur wer steigt, erklimmt den Olymp der Waren. Es ist also ein tatsächlich physischer Akt vonnöten, der, bei ausgeprägtem Einkaufsbummel, einem messnerischen Gipfelsturm nur wenig nachsteht. Und heute? Heute muss der Konsument nur einen Finger krümmen, wenn er will, dass ein ihm gutgefallendes Gut auf Reisen geschickt und vor die Wohnungstüre gelegt werden soll. Ihm, der sich dafür weder in Schale werfen noch Treppen hoch schleppen musste; der das Haus nicht verlassen hat, der wohlmöglich unrasiert und ungewaschen ist und demnach stinkend sozusagen Neues in Empfang nehmen will. Nur gut, dass Ware nicht riechen oder fühlen kann – und ich mir nicht vorstellen will, dass Lebendiges, wie etwa Katzen oder Fische, per click&drop den Besitzer wechseln dürfen. Nein, dafür muss das Haus verlassen, eine Eignungsprüfung gemacht, zumindest aber der Blick zwischen diesem Ding und seinem zukünftigen Besitzer ausgetauscht worden sein, will ich meinen. Sonst darf der Eine nicht dem Anderen gehören! Oder etwa doch? Wenn ja, dann empöre ich mich hiermit feierlich. Dann will ich nicht mehr Stiegen steigen, Treppen rollen oder clicken und droppen, sondern nur noch das sehen, was andernorts längst en vogue zu sein geworden scheint: zugestellte Auf- und Abgänge, die damit ihrem eigentlichen Zweck entrissen sind. In Bratislava tut man das bereits, und von dort ist der Weg ins ehemalige Kaiserreich bekanntlich nicht allzu weit. Deshalb fordere ich: zurück zur Einzelhandels-Monarchie, her mit den Blumen der Gerechtigkeit! Empor mit ihnen auf die Stufen dieser unserer Konsumententempel, auf dass sie die Logik der Massen stören und ihnen den Zugang zu ebensolchen Waren verbauen.

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Veränderung ist gut, sagt man. Vor allem dann, wenn sie von innen heraus kommt. Aus eigenem Antrieb, intrinsisch also, wie Soziologen sagen. Werber finden das auch gut. In ihren Agenturen gleicht ja kein Tag dem anderen, behaupten die. Mag gut sein, dass dem so ist; will ich gar nicht hinterfragen. Nach dem dritten Espresso an einem völlig neuen Montagmorgen schießt ihnen dann also ein Slogan wie Make the Switch durch den Kopf . Ein schöner Spruch für ein hässliches Business. Schlecht übersetzt kann das vieles heißen, grob gesagt aber vermutlich: Hab Mut zur Veränderung, vollzieh den Wechsel. Geh weg vom alten Glimmstängel und hin zur E-Zigarette. Schluss mit Marlboro-Mann und ganz bestimmtem Lungenkrebs. Vorbei die sichere Impotenz bei regelmäßigem Zigarettenkonsum. Hier kommt der neue Rauch in gesunden, dichten Wolken. Auf lange Sicht gibts zwar noch keine Sicherheit bei den Batterie-Brüdern. Ob die schaden, wissen wir nicht, oder will keiner verraten. Die Branche jauchzt zum Erdbeerhimmel hoch! Auch deshalb: Make the Switch! Verändere dich, lieber Konsument, geh jetzt mit der Zeit. Das heißt: modisch zurück zu Schlaghose und Topffrisur, beim Lifestyle aber woke as fuck. Vegan, glutenfrei und Smoothies so grün, dass jeder Dschungel grau dagegen wirkt. Und in den Händen ein neues Spielzeug, das mit sogenannten Heets (kleine Tabak-Patronen, oder besser: beschnittene Zigaretten) geladen nur ein ganz klein wenig stinkt. Was denkt sich die Branche eigentlich dabei? Gar nichts? Will sie den Furz salonfähig machen, oder geht es schlicht nicht anders? Das kleinste körperliche Übel der E-Zigarette, der Furz? Bei all den Unverträglichkeiten da draußen kein Wunder! Nur schön, dass es alternativ auch liquids gibt, die sich verdampfen lassen. Die überdecken diese Ausgeburten verdampfter Unverschämtheiten mit Geschmacksrichtungen wie Honigmelone oder Crème brûlée. Als Feinschmecker, der ich nicht bin, bleibt mir daher nur zu sagen: man reiche mir den Dessertlöffel – um ihn abzugeben.


Frau füllt einen Zigarettenautomat auf

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