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Blumen, die auf Stiegen stehen

  • moritzweinstock
  • 13. Okt. 2024
  • 2 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 15. Nov. 2024

Kaufhäuser sind die trostlosen Überreste einer großen Vergangenheit. Heute stehen sie nur noch halb gefüllt, lieblos dekoriert und auch von Außen jedem Glanz beraubt in den Innenstädten. Einst wurde in ihnen stundenlang geschlendert und geguckt, da wurden lange Nasen gemacht und an Schaufensterscheiben platt gedrückt, wie andernorts Kröten auf Asphalt. Und wenn ein großes Fest anstand und die Kinder anständig waren, dann haben Väter durchaus ihre Geldbörse gezückt und Gattinnen wie auch Nachkommen entzückt. In den edelsten dieser Häuser konnte man so ziemlich alles erwerben, von Kaviar bis Königspudelwelpen. Die einzigen Hürden, die dafür zu nehmen waren: Stiegen, oder zu Deutsch: Treppen. Obwohl bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts in rollender Form vorhanden, gilt in Kaufhäusern seit jeher: nur wer steigt, erklimmt den Olymp der Waren. Es ist also ein tatsächlich physischer Akt vonnöten, der, bei ausgeprägtem Einkaufsbummel, einem messnerischen Gipfelsturm nur wenig nachsteht. Und heute? Heute muss der Konsument nur einen Finger krümmen, wenn er will, dass ein ihm gutgefallendes Gut auf Reisen geschickt und vor die Wohnungstüre gelegt werden soll. Ihm, der sich dafür weder in Schale werfen noch Treppen hoch schleppen musste; der das Haus nicht verlassen hat, der wohlmöglich unrasiert und ungewaschen ist und demnach stinkend sozusagen Neues in Empfang nehmen will. Nur gut, dass Ware nicht riechen oder fühlen kann – und ich mir nicht vorstellen will, dass Lebendiges, wie etwa Katzen oder Fische, per click&drop den Besitzer wechseln dürfen. Nein, dafür muss das Haus verlassen, eine Eignungsprüfung gemacht, zumindest aber der Blick zwischen diesem Ding und seinem zukünftigen Besitzer ausgetauscht worden sein, will ich meinen. Sonst darf der Eine nicht dem Anderen gehören! Oder etwa doch? Wenn ja, dann empöre ich mich hiermit feierlich. Dann will ich nicht mehr Stiegen steigen, Treppen rollen oder clicken und droppen, sondern nur noch das sehen, was andernorts längst en vogue zu sein geworden scheint: zugestellte Auf- und Abgänge, die damit ihrem eigentlichen Zweck entrissen sind. In Bratislava tut man das bereits, und von dort ist der Weg ins ehemalige Kaiserreich bekanntlich nicht allzu weit. Deshalb fordere ich: zurück zur Einzelhandels-Monarchie, her mit den Blumen der Gerechtigkeit! Empor mit ihnen auf die Stufen dieser unserer Konsumententempel, auf dass sie die Logik der Massen stören und ihnen den Zugang zu ebensolchen Waren verbauen.


 
 

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