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Im Studio ist alles still

  • moritzweinstock
  • 23. Okt. 2024
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 26. Okt. 2024

Dicke Schaumstoffklötze an Wänden, Decke und Türe nehmen Worten weg, was sonst ganze Räume füllt. Hier aber hallt nichts nach und auch kein Echo schwingt mit. Nur die Botschaft drückt sich aus, der Kern einer Sache, unverpackt nackt tritt er auf und zu Tage und wirft Fragen auf, die sonst niemand stellt. Im Nebel von Worten und Sätzen und Phrasen und Phrasen und Standards bereichern sie scheinbar Gespräche. Heute bereichern sie nicht, sie tun es nicht hier, denn hier wird ihnen der Ton geraubt. Kein Nachklang an diesem Ort. Wer hier ins Horn bläst, bläst Horn und hört Horn, sonst nichts. Und wer ins Mikrofon spricht oder singt, der hört Sprache, Gesang, oder Sprechen und Singen, sonst nichts. Dann kommt plötzlich ein Rhythmus dazu, schwer und tief, aber doch leicht genug, um zu treiben. Der zieht sie fort, aber nicht weg, weil der Raum ja noch da ist und sie auch; beide sind also da. Ein Mann und eine Frau in einem Musikstudio. Sie hören sich, sehen sich, riechen sich und reden nicht miteinander, sondern singen sich zu und im Rhythmus. Sie sprechen in Reimen, getragen von dem, der sich im Kreislauf befindet, Loop nennt man ihn, erklärt der Herr hinter all den bunten Knöpfen und Apparaturen, die so ein richtiges Studio wohl haben muss. Ein Rhythmus im Loop also, sagt der Tonmeister, und wiederholt sich. Knöpfe und Tasten leuchten druckbereit bunt, auch Instrumente stehen griffbereit da; unzählige Flöten, große und kleine, dazu verstärkte und klassische Gitarren. Trommeln, Rasseln und Schlaginstrumente ergänzen das Sortiment. Ein Frosch mit buckligem Rücken, der einen Holzstift im Maul trägt und ihn liebt, diesen Stift, nicht frisst, hüpft ins musikalische Getümmel. Gestreichelt will er damit werden, nicht gefüttert. Frrritt, gerollt das R. So macht der Stift an dem gezackten Rücken, frrritt und nochmal. Auch das ist zu hören, dann nimmt der Rhythmus überhand und die beiden zur Seite. Er spricht in einen Telefonhörer und speist seine Stimme damit ein in das rhythmische Klangwerk. Sie singt ins Mikrofon und gibt ihm Antwort, nur miteinander sprechen, das tun sie nicht. Vom Wein ganz vereinnahmt, sagt er. Sie singt, schön stehst du vor mir. Er sagt, dein Freund in der Heimat, sie singt, und doch bin ich hier. Schöner Auftakt. Noch nie habe er gemeinsam mit jemandem gereimt, sagt er. Same, singt sie englisch und beginnt dann den zweiten Satz: Dich halte ich für schüchtern! Provoziert von dem Angriff legt er nach: und ich dich für leicht. Dann sie: du traust dich nichts nüchtern! Nein, denkt er und zwingt den sich anbahnenden dritten Schritt am rechten Innenbein herunter. So schnell entlarvt und erregt! Wenn sie das sich hier aufbauende Spiel nicht bemerken soll, muss er servieren und den Ton angeben. Wer hat die Pfeife im Mund? Also, Aufschlag aus der Hose, er sagt: die Unterhaltung wird seicht. Der sitzt, der Schlag, denkt er – und tatsächlich. Kein Feuer mehr in ihren Augen. Gelöscht das Knistern von eben. Lange sagt niemand etwas, nur der Rhythmus klopft unerhört weiter. Ihr Kopf mit den dunklen Lippen, wohin richtet er sich? Auf den zum Glück belegten Boden. Ein Kelim liegt da schön ausgerollt, in solchen Mustern lässt sich gut verlieren. Aber schon geht es weiter, sie richtet sich auf, wiegt sich bedächtig vom linken zum rechten Bein, kreist gut ihre Hüften, zu gut, diese Hüften, denkt er.  Dann führt sie das Mikrofon dicht an die noch immer dunklen Lippen und singt: Hier verbinden uns Kabel. Darauf er: und im Leben noch mehr. Sie, bitte küss meinen Nabel. Küss meinen Nabel!? Auch der Satz sitzt und trifft ihn abermals unerhört tief. Damm gebrochen, und mit ihm die Spannung im Leistenbereich. Verloren die Konzentration, die ihn kontrolliert unentdeckt stehen ließ. Jetzt aber muss er sich setzen. Wo ist die Luft, wenn man sie braucht, denkt er, was soll ich atmen? Dazu sein Herz, wild schlagend und scheinbar neu angeordnet in dem ihm längst nicht mehr gehorchenden Körper. Es sitzt am Polster, pocht schwer und drückt Blut in die einzig noch denkbare Richtung – und gerade die ist so falsch! Ach Herz, du pumpendes Hindernis! Einen Satz bringt er noch hervor, bevor das Hirn dem Körper das Spielfeld überlässt. Eine letzte sich aufbäumende Rückhand, ein Schlag aus Verzweiflung, nicht gegen sie oder sich, sondern für die Flucht aus diesem luftleeren Raum. Raus jetzt, aus dem stillen Studio, denkt er, und reimt wohlwissend auf den von ihm selbst vorausgeschickten Satz eines sie in so vielen Dingen verbindenden Lebens: ich muss gehen, es ist schwer.

 
 

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