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Egal wohin man blickt, es gibt sie überall, die schrägen Vögel – und ich liebe sie. Ich mag sie mehr als jeden Aal. Die einen nämlich haben Witz auf eine Art, von der sie selbst nur wenig wissen. Sie sind die bunten Hunde einer grauen Stadt voll braver Arbeiterameisen. Die anderen hingegen sind kantenlos und glatt wie eben jener Fisch, der manchen schmeckt. Ich jedoch kann ihn nicht leiden, auch wenn er mich als Tier nicht stört. Beim Baden will ich ihn nur ungern streifen, zu fremd ist mir sein langes Schlangenwesen. Ja, wenn ich so schreibe, fällt mir auf, das Tier taugt doch sehr gut, um uns Menschen zu beschreiben. So manche Frau ist stark wie eine Bärin oder kämpferisch wie eine Löwenmutter, während der Mann im Haus der Honigbiene gleicht, die immer brav und tüchtig ihren Soll erfüllt. Nur bei Kindern hinken die Vergleiche, denn wo nur ist ein Tier, das so herrlich wenig muss, wie die kleinsten aller Menschen? Küken vielleicht, ja, davon spricht man immer wieder, Welpen auch, das ist schon richtig. Doch auch diese kleinen Wesen müssen von Geburt an schon sehr viel und deutlich schneller als die unseren. Gut nur, dass ob schräger Vogel oder glatter Aal, ein Kind noch herzlich wenig weiß von all dem zukünftigen Müssen. Und es hat die freie Wahl, wohin es fliegt. Wird es ein schräger Vogel, der lustig seine Runden dreht? Oder ein unscheinbares Mäuschen, das sich in den Winkeln einer Stadt versteckt, weil es die Ecken dieses, seines Lebens bisher doch nur vom Hörensagen kennt?


Tauben sitzen nebeneinander auf einem Dachvorsprung.

  • 19. Mai 2023

Als ich noch unterwegs war, auf Reisen, nur mit einem Rucksack, da war Kleidung zweitrangig. Da spielte es keine Rolle, ob das T-Shirt oder der Pullover einen zweiten Tag in Folge getragen wurde oder eine ganze Woche am Stück. Die Jeans, die eine Jeans, die mich begleitete, lernte den aufrechten Gang, wenn ich sie am Ende langer Tage auszog und neben mich stellte. Sie war steif geworden vom Dreck der Straße, das wenige Waschen tat ihr gut. Sie sagte sich los von ihrer schlaffen, stets frisch gewaschenen Ruhelage über der Stuhllehne eines Wohnungsmöbels und stand stolz neben meinem Zelt als Wächterin der Nacht. Erst am Tag ließ ihre Anspannung nach, dann verschmolzen wir zu einer Einheit aus Schweiß und Stoff und Staub von jetzt und damals. Mag sein, dass das Bild, das wir ergaben, kein sehr schönes war. Der Stadtmensch lehnte uns ab, so viel wussten und verstanden wir. Ich sah es an seinem Blick, den Augen, die mich und meine mich schützende Begleiterin abschätzig von oben nach unten und umgekehrt betrachteten. Ausziehen schienen sich mich zu wollen, zu waschen und in eine Reinigung stecken. Und doch war auch Bewunderung dabei, ein Hauch von, ichwillauchsowenigmüssen. Aber Mensch!, sagte ich mir dann immer im Geiste, du kannst es doch. Tu es doch. Lass' einfach an, wofür du dich heute schon entschieden hast. Reduziere dich auf die Wahl des Morgens und belasse es dabei, vorerst, oder zumindest für ein paar Tage. Du wirst sehen, es ist befreiend, sich nicht täglich im Spiegel betrachten und abwägen zu müssen, ob das Outfit passt. Sag dir, es passt, oder sag es noch nicht einmal – fühle es. Auch ich fühlte es einmal, ich fühlte die krustig gewordenen Fasern auf meinen Beinen und genoss ihre schmutzige Härte. Kleidung ist vorrangig Zweckerfüllung, aber der Zweck eines vollen Kleiderschranks erschließt sich nur dem Stadtmenschen. Er ist es, der sich täglich neu in Schale werfen muss, um zu bestehen. Denn die Blicke seiner Mitstadtmenschen sind entscheidend, sie bewerten ihn nicht nur, sie machen ihn aus; formen ihn, bestärken ihn im Selbstwert oder zerschlagen seine mühsam aufgebaute Sicherheit. Also zieh dich an, Mensch, immer anders und immer frisch! Sonst bist du nichts, nur Dreck in einer Stadt, die am Morgen orange Männer auf die Wache schickt, um sich vom Schmutz der Nacht und ihrer Wandler zu befreien.


Unscharfes Foto einer Wand mit Graffitis vor der eine Reihe Verkehrsschilder steht.

Knete ist ein seltsames Material, aber es eignet sich ganz wunderbar zur Formung verrückter Welten und Wesen. Als Kind hatte ich selten Gelegenheit, damit zu spielen. Knete war in unsere Familie nicht erlaubt, obwohl sie auf andere Weise meist Thema war. Die eigentliche Knete aber hatten andere Eltern und glücklicherweise ließen die nicht nur ihre Kinder damit spielen. So bastelte ich, wenn auch nicht oft, hin und wieder mit der seltsam klebrigen Modelliermasse, erschuf aber zu keinem Zeitpunk so kreatives wie Nick Park, der Macher von Wallace & Gromit. Alles Käse war der erste und einzige Film, den ich von ihm sah und der Eindruck, den er bei mir hinterlassen hatte, war gewaltig. Um ehrlich zu sein: er wirkt bis heute nach! Und das, obwohl ich längst dahinter gekommen bin, dass der Mond nicht aus Käse besteht und eine Reise dorthin nicht mit einfacher Schraub- und Schweißarbeit in der Gartenwerkstatt getan ist. Nein, die Welt ist komplexer und obwohl sie von Knete regiert wird, hat der gefügige Gummi nichts zu melden. Nur in der Fantasie eines Animationskünstlers wird aus Plastilin Gold, formt sich der Mond zu einer schmackhaften Kraterlandschaft, die man mit salzigen Crackern bereisen und fressen kann.


Modell eines Flugzeugs der Austria Airlines an einer Betonwand in einem Keller.

Für uns Menschen jedoch, die Schlaraffenländer nur im Geiste erfinden können, gibt es andere Cracker, die einen auf Reisen schicken. Es ist die Mischung zweier chemischer Substanzen, die mich kürzlich den Sternen so nah brachte, dass ich sie am Bartresen spürte ohne sie sehen zu können. Umringt von Wesen mit breiten Mündern und frechen Fratzen, Gesichter, die ich wenige Minuten vor dem Toilettengang noch als Freunde und Bekannte wahrgenommen hatte, waren jetzt von einer außerirdischer Schönheit, die mir fast ein wenig Angst machte. Mein eigenes Lachen ist zu einem stummen Grinsen gefroren, ich bin glücklich hier zu sein, auch wenn das Hier für kurze Zeit unscharf und fern ist, weil es wackelt und wabert und in seinem Dasein sehr flüchtig erscheint. Doch es gibt Halt! Zwei runde Rumäninnen, ich kann es nicht anders sagen, wurden mir Monde aus Käse. An ihnen darf ich mich laben und den Keks, von dem ich naschte, mit Worten der englischen Sprache bestreichen, die wie Schmelzkäse aus meinem trägen Mundwerk fließt. Kaum eines geraden Ausdrucks fähig, hält unsere Konversation doch erstaunlich lange an, denn die beiden sich liebenden Damen, Lesben wie sie mir stolz und mit einem leidenschaftlichen Kuss bestätigen, scheinen von meiner sinnlosen Synapsenreise ins Nirgendwo nichts zu bemerken. »Cluj-Napoca« stöpsele ich mit größter Mühe hervor, sei eine Stadt in Rumänien, die ich kenne, bereist und lieb gewonnen hatte. Begeisterung bei den Mondfrauen, ein Deutscher in Wien, der nicht nur Italien, Spanien und Frankreich ins Herz geschlossen hat. »I love you«, schwören sie mir da schon, Umarmungen folgen, ja sogar eine Rose schenken sie mir, die ich mit zaghaftem Stolperschritt über den unsagbar unebenen Tanzboden immerhin bis zum DJ befördere, um mich für die Geräusche der letzten Stunde zu bedanken. Nur Sekunden danach folgt auch schon der Abbruch des Erste-Reihe-Stehens, zu unsicher sind die Muskeln meiner Beine, noch herrscht kein Gleichgewicht im sonst so bekannten Gravitationsfeld einer Club-Nacht.

Knete, das seltsame Material meiner Kindheit hat mich wieder. Wo der Körper die Mächte des Rausches erfährt, versagt ihm die Spannung des Alltags. So auch an diesem Abend. Noch vor dem ersten Schritt auf das Tanzparkett war alles in bester Ordnung, die Stimmung ausgelassen, die »Vibes«, wie man sie nennt, gut. Lässiges Geschunkel, ein paar Tanzbewegungen wie in alten Zeiten, House die Musik, die dazu veranlasste. Flüchtiger Kontakt mit ein paar tanzenden Genossinnen, Austausch von Blicken und einfachsten Worten, wie »taugt« und »richtig gut«. Dann die Einladung aufs WC dankend angenommen und im Anschluss erlebt, was oben bereits beschrieben. Je nach Dosierung kann ein solche Reise durchaus von Dauer sein, meine betrug vermutlich kaum mehr als eine Stunde. Nach dem Verlassen der Mondumlaufbahn und dem Wiedereintritt in die keksfreie Erdatmosphäre, beruhigten sich meine Synapsen, kehrte Kraft in die Muskeln zurück, fand ich Halt auf der jetzt wieder glatten Tanzfläche. Die Krater verschwanden und Mut und Wille, die erste Reihe der tanzenden Gesellschaft zu betreten, wurden größer. Sie begannen auch deshalb zu wachsen, weil sich dort jemand aufhielt, deren Bewegungen von solch ätherhafter Leichtigkeit waren, dass sie mir, dem mutigen Kosmonauten von eben erst erlernter rumänischer Freundlichkeit, eine neue Form der Schwerelosigkeit versprachen, die es zu erkunden galt. Der Eintritt in den Kosmos dieser schwungvollen Tänzerin erfolgte problemlos, Platz war vorhanden und der DJ, der jetzt an den Plattentellern wippte, verstand sein schwarzes Scheibenspiel bestens. Die Musik von vorher verlagerte er ein Stockwerk nach unten, es wurde dunkler, obwohl sich die Nacht schon zum Tag formte und der morgen bereits zu dämmern begann.

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