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Andere verbinden sich und verbinden damit viele andere. Sie binden sich und schweißen uns aneinander. Unzertrennlich sind wir jetzt. Gemeinsam haben wir ein Paar und uns selbst gefeiert. Sie haben sich einander versprochen und uns damit die Chance gegeben miteinander zu sprechen. Und nun reden wir wie wild untereinander, weil ihre Hochzeit noch lange und dauerhaft nachhallt. So wurde aus einer Bindung eine Vielzahl an neuen Verbundenheiten. Wir konnten uns erst deshalb verknüpfen, weil sich zwei Weitreisende dazu entschlossen, ihre Herzen und Welten für sich und uns alle zu öffnen. Weil sie verstanden haben, dass die stärkste Verbindung eine offene ist. Offenheit ist das Band, an dem wir uns festhalten müssen, weil uns kein anderes im Leben hält. Verbinden wir uns also! Als Menschen, als Tiere, als Pflanzen und Lebewesen aller Art. Egal ob als Paar, Freunde, Gruppen oder zu einer Gemeinschaft. Verwobenes Leben, eng verstrickte Bande. Sie nehmen uns die Angst vor der dunklen Einsamkeit. Was kümmert uns das Licht am Ende des Tunnels, solange er nach oben hin offen ist? Und so sind wir aufgebrochen, uns drei Tage lang fallen zu lassen. Ohne Netz, an einem See in einem Wald und ohne Schuhe, die uns auf den Boden der Tatsachen holen. Barfuß feierten, tanzten und waren wir. Ein Festival der Sinne, für zwei Seelen und jede dort anwesende. Und irgendwann war er dann doch wieder da, der feste Untergrund einer Straße, mit der wir zurück in unsere Leben finden. Aber jetzt schweben wir über ihm und beschwingt in alle Himmelsrichtungen davon.


Ein frisch verheiratetes Ehepaar läuft durch eine Hochzeitsgesellschaft, die es mit Reis bewirft.

  • 25. Juli 2023

Badegäste wie Maden im Speck, verbrennen sich die eingeölten Leiber ungeschützt im künstlich aufgehäuften Sand, dazu Currywurst und Pommes rotweiss. Es ist warm im Sommer, heiß sogar, und das Wasser kippt schon fast. Aber die Damen und Herren vor dem Zapfhahn am Kiosk sind schneller. Mit Zigarette im Mund stürzen sie kühles Bier in ihre trockenen Kehlen, wippen dazu leicht, bevor sie den Rückweg zum Strandkorb antreten und träge über den sandigen Promenadenboden schlürfen. Hoch oben in seinem Turm steht stolz der Bademeister mit Kappe und Fernglas bestückt leicht an die Reling seiner Aussichtsplattform gelehnt. Mit kurzen, aber scharfen Pfeiftönen mahnt er zur Vorsicht beim Sprung vom Steg, stützt dazu die Linke in die schmale Hüfte und greift ein wenig in den Rand seiner roten Badehose hinein. Sie ist es, nicht nur das weiße Polohemd, die ihn in Amt und Würden hält und seine Stellung untermauert: der Mann ist Rettungsschwimmer obendrein! Ein braungebrannter »Sani« im Sonnenlicht. Ein Lifesaver, mit Weitsicht und Tiefblick sogar, bis weit in den Bereich der freien Körperkultur hinein. Nur muss er dort selten pfeifen, weil Nacktheit vor Dummheit zu schützen scheint, herumgetollt und geglotzt wird bei den FKKlern jedenfalls kaum und einen eigenen Kiosk gibt es dort nicht, folglich auch kein schwitziges Schlangengedränge und feuchtes Ausschnittgucken. Diese Dinge bleiben dem Textilbereich vorbehalten, denn offen getragene Nacktheit spannt nicht auf die Wollustfolter, dafür aber knappe Badekleidung. So liegt die Mehrheit Mensch modisch eingeschnürt, mal verschämt und manchmal kaum verhüllt, höchst aufgeladen im Normalbereich, der zwar klare Grenzen kennt, aber diese kaum zu schützen weiß. Deshalb trillert es auch dann vom Turm hinab ins Reich der bunten Badeschlüpfer, wenn Wasser keine Rolle spielt. Denn die Gefahr liegt im Strandbad vor allem am leicht verdeckten Ufer.


Bild von einem Strandband in Berlin mit unzähligen Badegästen und Menschen an einem Sandstrand.

  • 5. Juli 2023

Graue Wolken zogen in Fetzen über den Himmel, zerrissen vom Wind, der auch die Bäume nicht in Ruhe lassen wollte. Auf dem Fahrrad war jeder Meter ein Kampf, der ihr den Weg in Richtung Klosterneuburg erschwerte. Aber Anna wollte die Strecke trotzdem zurücklegen und endlich tun, worauf sie sich seit langer Zeit vorbereitet hatte. Die Bedingungen dafür waren zwar nicht perfekt, vermutlich würde das Wasser kleine Wellen und weiße Schaumkronen tragen und deutlich dunkler sein als sonst. Ja, ein echter Badetag war es nicht, aber wenn sie es heute wagen würde, täte sie es immer wieder. Und genau das wollte sie. Im Schwimmbad war die Bahn, in der sie für gewöhnlich schwamm, begrenzt. Sie musste Kehrtwenden machen, die ihr noch nicht so gut gelangen und nach fünfundzwanzig Metern umdrehen und in die Gegenrichtung schwimmen. Hinzu kamen all die anderen Schwimmerinnen mit anderem Tempo und unterschiedlich eleganter Technik. Will sagen, der Brillenblick unter Wasser wurde ihr oft durch Luftblasen und aufgewirbelte Haarknäuel erschwert, manchmal berührte sie sogar fremde Füße mit ihren Fingern und andere Hände berührten wiederum ihre Füße. So wurde ihr das Schwimmen im Hallenbad schnell zu blöd, denn das Verhalten in den von bunten Plastikbällen abgetrennten Bahnen war kaum anders als auf Autobahnen. Es herrschte heftiger Verkehr und nur selten gelang es ihr, die richtige Uhrzeit zu finden, in der Schulklassen schon nicht mehr, Freiberufler, Beamte und Rentner aber noch nicht im Sportbecken plantschten. Das Wasser für sich allein hatte sie so gut wie nie und die wenigen Male, in denen sie schwimmen konnte, wie sie wollte, waren ein seltener Hochgenuss. Dann konnte Anna jeden Zug zur vollen Länge strecken, sich auf ihre Atmung konzentrieren und in einen Zustand fallen, der einer Meditationsübung nicht unähnlich ist. Sicher hatte sie auch sportliche Ambitionen, denn Dr. Friedinger hatte ihr geraten, dass sie es beim Schwimmen nicht zu locker nehmen soll: »Frau Hofbauer, ihre Wirbelsäule wird es ihnen danken, wenn sie ein wenig kraftvoller schwimmen. Machen sie sich lang und konzentrieren sie sich darauf, Arm- und Beinbewegungen gut aufeinander abzustimmen. Und Bauchatmung, unbedingt weiter die Bauchatmung üben!« Das hatte er ihr immer wieder gesagt, weshalb sie jetzt fast täglich morgens in ihrer kleinen Wohnung flach auf dem Rück lag und mit der Hand ihren Bauch abtastete, um den Ein- und Ausatemzyklus zu beobachten. Freundinnen von Anna machten ähnliches in ihren Yogastunden und schworen auf die erstaunliche Wirkung einer richtigen Atmung. Daran wollte auch sie arbeiten und nicht nur, weil Dr. Friedinger es so wollte, der sie manchmal beim Vornamen nannte und dann Anna sagte, obwohl sie sich noch gar nicht lange kannten. Trotzdem war da eine Vertrautheit zwischen ihnen und sie fühlte sich bei ihm gut aufgehoben. Seinen Vornamen kannte sie natürlich ebenfalls, aber noch empfand sie es als unpassend, ihn wie einen Freund zu nennen. Außerdem ging ihr Florentin nicht gut von der Zunge, das war einfach so und sie konnte den Grund dafür nicht nennen. Sie saß also auf dem Fahrrad und strampelte sich die Beine warm, während ihr die Donau zur Rechten entgegenlief und an einen Murenabgang erinnerte. Blau oder grün schimmernd, wie der Fluss oft besungen wird, hatte sie die Donau jedenfalls nie gesehen, ihr Wasser war grau und wirkte an diesem Tag nicht sehr einladend. Ein schwerer Lastkahn pflügte sich durch den Strom nach oben, überholte sie und war noch zu hören, als er längst außer Sichtweite war. Da, wo er jetzt war, musste sie auch hin, nicht sehr viel weiter. Ihr Ziel war der Kuchelauer Hafen, ein Seitenarm der Donau mit totem Ende, an dessen Ufer in den letzten Jahren luxuriöse Wohneinheiten entstanden waren, die auf den Namen »The Shore« hörten. Hier war das Wasser tatsächlich grün, auch wenn es an jenem Tag deutlich dunkler war als sonst. Kein Sonnenstrahl spiegelte sich in den kleinen Wellen, die sich stadteinwärts schoben und Annas Haut zur Gänsehaut kräuselten. Das Gute war jedoch, dass es in gleicher Richtung floss und nur die Oberfläche eine gewisse Strömung aufwies. Ansonsten war das Wasser ruhig und sie parkte ihr Fahrrad an der Hafenausfahrt, um die restlichen zwei Kilometer bis ans Ende zu Fuß zurückzulegen. Zwei Kilometer wollte sie schwimmen, in fast offenem Gewässer und ganz allein. Ein Angler stand einsam am Wegesrand, sie passierte ihn, wollte fragen, welche Fische man hier so fängt, aber er hatte nur Augen für das Wasser und seine Rute. Und eigentlich wollte sie gar nicht wirklich wissen, worauf er es abgesehen hatte. Das lag weniger an der Grauslichkeit so mancher Köder, die mit ihren Widerhaken in schimmernd-bunten Farben sicherlich eine gewisse anglerische Ästhetik aufweisen, in Wahrheit jedoch fiese Todbringer sind, als vielmehr an der Angst, die sie beim Gedanken an meterlange Hechte und glitschige Welse durchströmte. Nein, solchen Ungeheuern wollte sie nicht begegnen. Ihr genügte die Aussicht auf Unterwasserpflanzen, wie das dort vorherrschende hochwüchsige Ährige Tausendkraut, das sich unangenehm um Finger und Körper schlingt und nur scheinbar in die Tiefe ziehen will. Man hatte ihr von den Mähbooten erzählt, die diese Unterwasserwiesen fast wöchentlich schnitten, doch wurde ihr auch berichtet, dass das nur selten reichte. So blieben immer grüne Stellen übrig und sie wusste, dass ihr erster Schwimmtag in diesem Gewässer nicht ohne eine Begegnung mit dem Kraut vonstattengehen würde. Eine gute halbe Stunde dauerte der Spaziergang ans Ende des Hafens, noch immer tobte ein heftiger Wind und schäumte kleine Wellen auf. Bis auf den Angler war niemand zu sehen, dafür grüßte The Shore von der anderen Uferseite, über vier Etagen schoben sich die monströsen Wohnungen in den Himmel und ihnen vorgelagert lag die hauseigene Strandpromenade, aus massivem Beton gegossen und noch völlig kahl. Für die Bewohner dieser Anlage hatte man Bahnen im freien Wasser abgesteckt, genau solche, wie sie Anna nicht mehr wollte. Sie hatte nicht sofort den Mut gefunden, sich auszuziehen und in ihren Badeanzug zu schlüpfen, denn das Wasser sah wirklich nicht einladend aus. Aber sie stand schon am Rand und zählte die Schritte, die sie brauchen würde, um ganz unter Wasser zu sein. Mit fünf Schritten sollte es getan sein. Als plötzlich ein Sonnenstrahl kurz durch den grauen Himmel lugte, war es soweit. Sie kramte die aufblasbare Schwimmboje aus ihrem Rucksack, legte Badeanzug, Schwimmbrille und Badekappe daneben und zog ihr leichtes Sommerkleid aus, das sie trotz des ungemütlichen Wetters extra angezogen hatte, weil all ihre Habseligkeiten Platz in der kleinen Schwimmboje finden mussten, die sie hinter sich herzog, auch die Sandalen.


Strand mit dicken Kieselsteinen, im Hintergrund ein Gewässer und große Wohnbauten vor einem bewaldeten Berg.

Wenig später stand sie fertig umgezogen am Ufer, hielt die prall gefüllte Schwimmboje in der rechten Hand, band sich die dazugehörige Schnur um die Taille und wagte mit fünf beherzten Schritten den Sprung ins Wasser. Mit einem Mal war alles um sie herum ruhig, obwohl der Wind noch immer tobte und kleine Welle gegen ihren Hals klatschten. Aber sie war im Wasser und jetzt konnte sie nichts mehr von ihrem Plan abhalten. Mit ein paar kurzen, kräftigen Brustschwimmzügen begann Anna zunächst zur anderen Uferseite hinüberzugleiten. Kühl, aber nicht zu kalt, lag ihr das Wasser auf der Haut, nur die trübe Aussicht unter Wasser war ihr noch nicht ganz geheuer. Weit konnte sie nicht sehen, weder nach unten noch nach vorne, stattdessen gaben ihr die Atemzüge erste Orientierung. Die Hafenausfahrt konnte sie von hier und in dieser niedrigen Position nicht sehen, dafür beengten weder Schwimmbadränder noch Hallenbadmauern ihre Sicht auf den Leopoldsberg und das schilfumsäumte Ufer. Die orange Boje trieb fröhlich hinter ihr auf dem Wasser, nur einen leichten Zug spürte sie am Körper, der ihr jedoch die Versicherung gab, dass all ihre Dinge mit dabei waren. Zwei Kilometer klingen nicht viel, wenn man sie sich vorsagt. Beim Freischwimmen ist das anders. Die Idee ist es, sich dem Element Wasser völlig hinzugeben und obwohl Anna hier nicht im offenen Ozean schwamm und das Ufer noch immer in erreichbarer Weite lag, empfand sie doch genau jene Mischung aus Beklemmung und Freiheit, von der sie gelesen hatte. Niemand gab ihr ein Tempo vor, niemand berührte ihre Füße und sie konnte sich ganz auf Atmung, Schwimmzüge und Gleitphase konzentrieren. Aber das Wasser war groß und dunkel und die Strecke war weit. Das Ziel lag auch nach zehn Minuten rastlosen Schwimmens nicht in sichtbarer Ferne. Zug um Zug kraulte sie sich vorwärts und jeder Arm, der im Wechsel in den Himmel schnellte, wurde vom kalten Wind erfasst und zurück unter Wasser gedrängt. Anna spürte, wie sie noch immer nicht ganz bei der Sache war. Zu viele Dinge gingen ihr durch den Kopf. Dinge, die auch ihre Kindheit betrafen und beim Schwimmen eigentlich nichts verloren hatten. Aber so ging es ihr öfter und im Grunde schon immer, wenn sie schwamm. Dann kehrte sie ganz in sich, hörte ihren Herzschlag bis tief ins Ohr hinein, fühlte die sich aufblähende Lunge und den prallen Brustkorb und wusste doch, dass die Funktion ihres Körpers eingeschränkt war. Denn sie kam zu früh zur Welt, um mindestens zwei Wochen. Als Steinbock geboren, wog sie nur 2.200 Gramm, was die Ärzte scheinbar nur mäßig beunruhigte. Sie musste auch nicht in einen Brutkasten, denn sie wog nur wenig und sah nicht ganz ausgereift aus, mehr fehlte ihr nicht. »Vermutlich auch deshalb die verdrehte Wirbelsäule«, meinte Dr. Friedinger einmal zu ihr und deutete auf die leichte Skoliose an ihrem unteren Rücken. Anna hatte sich dem Wasser schon immer sehr verbunden gefühlt. Als kleines Kind war sie kaum aus dem Planschbecken zu kriegen und als älteres Kind kaum noch aus den Pools der öffentlichen Schwimmbäder. Nur schwamm sie da noch nicht im sportlichen Sinne, sondern tauchte und drehte sich lieber viel unter Wasser, weil ihr die Schwerelosigkeit gefiel und kein Gewicht auf ihrer schrägen Wirbelsäule lastete. »Fisch oder Wassermann hätte ich sein sollen«, sagte sie ihren Freundinnen, wenn die ihr zu Yogaübungen rieten und schmunzeln mussten, weil ihr der Schneidersitz nie wirklich gelang. Und jetzt war sie Fisch! Mit einem Mal fühlte sie sich wohl in dem großen Gewässer und fand Frieden mit sich und der Welt und dem Wetter, dem sie sich trotzig in den Weg gestellt hatte auf der Herfahrt. Zwei Kilometer würde sie nun schwimmen und jeder Zug, den sie tat, bestätigte sie darin, es wieder und nie mehr anders tun zu wollen. Denn sie war Fisch geworden und konnte dem Steinbock, der nur ihrem Geburtstag, nicht aber dem Wesen, das sie ist, entsprach, nichts abgewinnen.



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