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Gelbe Paketaufgabe-Box in einer Postannahmestelle

Unbenanntes Dokument, fast leere Seite, nur ein paar schöne erste Zeilen. Dann die falsche Taste gedrückt und nicht mehr weitergeschrieben. Ohne Suche gefunden und schon wieder gelöscht. Jetzt ist alles weg. Aber jeder Buchstabe klingt nach und hallt von meinen Ohren bis tief ins Herz hinein. Worte wie Noten, Sätze und Zeilen mit mächtigem Rhythmus. Tanzen musste der erste Absatz, schweben konnte er mit nie dagewesener Leichtigkeit, fliegen wollte er und blieb dann doch am Boden. Tatsache. Und jetzt tut sie weh, diese Sache mit Anfang und einem Ende, das so schmerzlich nach Moll klingt. Also bleibt das Dokument unbenannt, weil es nie wirklich war. Nur ein Traum. Gelöscht und verklungen, wie der Ton jener Nacht, die mir die ersten vier Buchstaben deines Namens diktierte. Jetzt sind sie weg. Und der Stift malt wieder farblos weiter.



  • 20. Juni 2023

Motorrad mit Gepäck, Kirche im Hintergrund, Laub am Boden, Bäume und Sträucher

Motorrad geparkt auf der Straße.

Im Hintergrund, grau und kalt,

glotzt schüchtern ein Kirchturm hervor.

Dazu Laub gelblicher Farbe.

Es liegt trocken und frostig am Boden.

Zeit hat es zu unmöglichen Haufen

an der Rand dieser Farbahn gedrückt.

Der Herbst kennt keine Gnade.

Und so friere ich kurz nach dem Foto,

noch ein paar weitere Stunden im Wind.



Inmitten eines Maisfeldes lag sie und quälte sich sehr. Während die Freundin ihr Mut zusprach, aber den Ort nicht verließ, um Hilfe zu holen, stand er träge daneben, bis es fast schon zu spät war. In letzter Sekunde riss er sich dann doch los und suchte wie irre nach helfenden Händen. Er fand sie am Eingang, umgeben von geschwollenen Nasen und bleischwarzen Augen, wo kauende Münder nach Entschleunigung fragten. Dort, Sanitäter in praller Sonne, kaum mehr tuend als Wasser verteilen und beruhigende Worte aufsagen. »Helft mir«, brachte er gerade noch heraus, ehe ihn der Mut verließ, noch deutlichere Worte zu sagen. »Wo brennt’s denn?«, daraufhin von einer lässigen Berliner Schnauze. »Auch n bisschen zu viel erwischt?«, legte der Sanitäter mit breitem Grinsen hinterher. »Nein, schwanger, Kind, Maisfeld, Geburt, Nabelschnur, trennen, schnell, los«, schoss es in wilden Salven aus dem speichelfreien Mund des Hilfesuchenden hervor. Auf einmal zuckten dem Anderen die noch lustig gebogenen Mundwinkel, rutschten nach unten und noch ehe er verstand, befeuchtete er sie schon mit der Zunge. »Äh, Momentchen mal, wat haste jesacht? Schwanger is wer? Da kriegt jemand n Kind?« »Jaja, sehr wohl, da hinten im Maisfeld«, gab der noch immer Fassungslose koordinatenfrei an und deutete nur vage in eine Richtung. Dann verstand der Berliner endlich, packte seinen prallen, roten Sanitätsrucksack mit gelben Leuchtstreifen, verschwand aus der Sonne und folgte dem Retter hinein in das Maisfeld. An Ort und Stelle angekommen, wie man so 112-haft sagt, entblößte der Sanitäter die am Boden sich vor Schmerzen krümmende und fast schon gewordene Mutter zur Gänze. Jetzt lag sie nackt in den Armen der ihr nur Mut zurufenden Freundin und heulte genauso tränenreich wie sie. Aber da war schon ein dritter Kopf im Spiel, der die Augen nicht öffnen wollte, das heißt, es noch gar nicht gut konnte. »Atme, Kind, Mensch, atme«, sagte der Berliner mit mahnenden Worten, während er den kleinen Kopf stützte, damit nicht Mais, sondern Hände ihn ins Leben begleiten. Scharfe Blätter schnitten in die Körper der Liegenden, der Arzt, Herr Doktor, der keiner war, der Retter, der ebenfalls keiner war, sondern nur Helfer – sie alle schwitzten im Feld beim Zusehen und Handeln. Und dann war es da. Flutschte hinaus in die Welt und die trockene Hitze am Rande eines Festivals, und schrie voll erwartbarer Freude? Nur die Mutter freute sich gar nicht mehr. Erlöst von der peinlichen Qual, atmete sie nur noch ein wenig. Ein und wieder aus. Und dann gar nicht mehr.


Bunten Menschenmenge an einem Strand tanzt zu Musik.

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